Gestern hatte ich einen Ruhetag in Luzern, um mich nach den ersten 400 Kilometern auszuruhen. Aber jedes Mal kehren die Gedanken an das sportliche Highlight meiner Reise zurück; die Besteigung des St. Gotthardpasses auf der alten Route; ein Moment, der immer näher rückt und mir viel Kraft abverlangen wird. Zuvor nehme ich jedoch die Route entlang und über den Vierwaldstättersee, wo sich die ersten Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden zusammenschlossen, um eine Eidgenossenschaft gegen die Habsburger/Österreichischen Herren zu schmieden.

Um die Größe des Vierwaldstättersees abzuschätzen entscheide ich mich für die Überquerung zwischen Beckenried und Gersau; über den See. Auf der Fähre ist es nicht überfüllt; Es gibt 3 Autos, etwa 6 Fahrräder und ein paar Leute. Die Überfahrt dauert trotzdem eine halbe Stunde, da das Boot den See schräg überqueren muss. Die beiden Städte, zwischen denen das Boot segelt, sind nicht besonders groß und wirken wie gewöhnliche Dörfer. Aber Gersau wird dennoch erwähnt, dass es jahrhundertelang die kleinste Republik Europas war und diesen Status erst um 1798 aufgeben musste. Außerdem ist das Dorf von den umliegenden Bergen geschützt, so dass die kalten Bergwinde wenig Einfluss haben; im Dorf wachsen sogar Kastanienbäume! Das alles ist historisch großartig, aber mein Ziel nach der Ankunft ist es, zuerst einen leckeren Cappuccino zu trinken. Das finde ich in einem italienischen Restaurant. Obwohl wir uns noch auf der Alpennordseite befinden, fällt es dem Kellner schwer, Deutsch zu sprechen und spricht Italienisch mit mir. Wir beide verstehen das Wort „Cappuccino“ und das schwarze Gold ist köstlich!

Ich nähere mich der Gegend um den Ort Brunnen und werde mit der Sage um den berühmten Schweizer Freiheitskämpfer „Wilhelm Tell“ konfrontiert. Es gibt jedoch kein Dokument, das bestätigt, dass er tatsächlich existiert hat. Etwas befremdlich erscheint mir, dass es diverse Denkmäler über ihn gibt und Orte benannt wurden, an denen er der Legende nach seine Heldentaten konzentrierte, während seine Daseinsberechtigung nicht zu 100% nachweisbar ist. Auch kulturell findet die Legende Beachtung, als der deutsche Schriftsteller Friedrich Schiller 1804 ein Theaterstück über ihn schreibt. Ihm zu Ehren wird später die Felsspitze „Schillerstein“ nach ihm benannt.

Auf der Strasse zwischen Brunnen und Flüelen gibt es einen knapp 1,5 Meter breiten Radweg, wo meine Packtaschen knapp innerhalb der Radweggrenzen bleiben, während derselbe Radweg auch für entgegenkommende Velos und Fussgänger benutzt werden muss. All das führt zu gefährlichen Situationen durch den Sogwind vorbeifahrender Lastwagen, die versuchen, meine Packtaschen zu fassen, so dass ich froh bin, dass ich die „Tellskapelle“ heil erreiche.
Die heutige Kapelle wurde 1880 erbaut, aber 1388 gab es bereits eine Kapelle zum Gedenken an Wilhelms Heldentaten. Die Kapelle liegt am Fuße des Sees und ist zu Fuß über eine steile Treppe erreichbar. Dadurch wird sichergestellt, dass es an der Kapelle nicht überfüllt ist. Das gibt mir die Möglichkeit, die Kapelle aus allen möglichen Blickwinkeln zu fotografieren, ohne Menschen im Visier zu haben. An den Innenwänden der Kapelle wird der Mythos von Wilhelm Tell in 4 Wandmalereien erklärt. Ein besonderes Denkmal für die Schweiz, das auf dem Landweg schwer zu erreichen ist, damit der Zugang über Wasser mit kleinen Booten mehr genutzt wird.


Die nächste Station meiner Suche nach Wilhelm Tell führt mich nach Altdorf. Dort, auf dem Dorfplatz, wo der Legende nach Wilhelm einen Pfeil durch den Apfel schoss, der auf dem Kopf seines Sohnes lag, eine große Statue von ihnen beiden. Die heutige Schlussetappe ist das höher gelegene Bergdorf Bürglen, wo Wilhelm vermutlich geboren wurde. Da mein Hotel für die Nacht auch so ist, schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe; etwas, das ich später an diesem Tag nicht tun kann. Unterwegs halte ich an einer weiteren Statue von Wilhelm und seinem Sohn, lasse das Wilhelm-Tell-Museum auf der anderen Seite aber in Ruhe und radle weiter nach oben. Ich dachte, das Hotel wäre niedriger auf dem Berg, aber das Gegenteil ist der Fall. Nach einer guten Stunde Arbeit komme ich im Hotel an und kann mich endlich ausruhen.
Das Hotel verfügt über eine Bar und ein Restaurant. Ich bestelle ein Bier und erhalte sofort eine schöne rote Fliegenklatsche, um der Fliegenplage Herr zu werden, die dieses Tal heimsucht. Dabei kommt es zu skurrilen Szenen, in denen die anwesenden Gäste neben ihren Gesprächen und dem Verzehr des Essens immer wieder um sich wirbeln. Die Mitarbeiter sehen das alles mit Trauer und sind auch machtlos gegen die fliegende Invasion. Zum Glück gibt es in meinem Schlafzimmer kaum Fliegen und ich schlafe gut.
