19. Mailand – Rundgang durch die Stadt

Endlich kam ich an. Dröschken und Omnibusse von allen Farben standen am Bahnhof, und die Kondukteure luden, mit lauter Stimme: <<Porta Vercellina, Signore?>> und <<Porta Ticinese>> rufend, die Passagiere auf zudringliche Weise zum Mitfahren ein. So sah ich ihn in einen bärtigen Kondukteur von untersetzter Gestalt, der ein gemächlich einhergehenden Lord ohne weitere Umstände am Arm fasste und wie einen Federball in einen blauen Omnibus hineinwarf. Der arme Lord konnte von Bestürzung seinen „Goddam“ erst hervorbringen, als er schon halbwegs in der Stadt war.

Ich lenkte meine Schritte dahin, wohin die meisten Menschen gingen: durch die Porta Ticinese auf den großen Corso della Porta Ticinese. Der erste Anblick der Stadt erregte mein Erstaunen, das aber seinen Gipfel erreichte, als ich am Ausgange der erwähnten Straße auf den großen Kastellplatz gelangte, der, umgeben von den schönsten Gebäuden, einen Blick auf die Marmorspitzen des Doms und von der andern Seite auf den Arco della Pace (Friedensbogen) gewährt, den ich am nächsten Morgen bestieg. Von carrarischem Marmor gebaut erhebt sich dieses Gebäude, auf einer bedeutenden Fläche ruhend, bis zu einer Ehrfurcht erregenden Höhe und streckt unzählige Türme und Türmchen, deren jedes mit einer Statue gekrönt ist, in die reinen, blaue Lüfte empor. In diesem Wunderwerke ist uns der Grundgedanke des Christentums vergegenwärtigt: hoch zu den Wolken empor, als wollten sie den Himmel erreichen, strecken und recken sich Türme und Spitzen und versinnlichen uns das unaufhörliche Streben des wahren Christen, sich vom Irdischen zu trennen und nach Hohem und Himmlischem zu trachten. Die stolz emporstrebenden Pfeiler und Bogen sind der kühne Flug der Gedanken die sich frei und ungehindert zum Hohen und Höchsten erheben dürfen; doch wie Gott, dem geistigen Auge des Menschen, unerforschlich ist, so soll auch dessen leibliches Auge nicht erkennen, was der Meister mit kunstgerechter Hand auf der äußersten Spitze gefertigt.

Mailand – Dom

Mailand – Lodi: Ziel erreicht!

Mehrere Tage war ich in Mailand. Ich logierte im Albergo della Croce bianca (Gasthaus zum Weißen Kreuz) auf dem Corso della Porta Vercellina neben dem Palais des alten Radetsky und nicht weit von der Reuß-Husarenkaserne. Dort ging ich des Tags mehreremal hin und hatte die Ehre, den Obristen des Regiments und dessen Adjutanten sehen und sprechen zu können. Aber wen ich nicht zu sehen, aber wenig, nicht zusehen und zu sprechen kam, das war der Herr Vetter aus Lodi. Ich setzte mich daher eines schönen Nachmittags für zwei und einen halben Franken in den Omnibus, der täglich nach diesem dreißig Millien entfernten Städtchen fährt. Dort kam ich am 23. Oktober abends um sieben Uhr wohlbehalten an und hatte so denn endlich mein letztes Ziel erreicht.