Der Tag beginnt früh in Mailand. Wie die Einheimischen stehe ich früh auf, mache Frühstück und eile ins Stadtzentrum. Am absoluten Highlight und Mittelpunkt der Stadt, dem Dom von Mailand, herrscht bereits reges Treiben. Der Dom ist riesig und der Platz davor bietet Platz für tausende fotografierende Touristen, die sich mit dem Dom verewigen wollen. Ich bin auch ein Tourist, der das möchte, aber nicht alleine im Bilde sein möchte. Ich möchte ein Foto mit meinem Reisebegleiter Hermann. Aus seinem Buch und seinem Foto, das mich auf der Radtour nach Mailand begleitete, habe ich ein Reiseheft gemacht. Eine freundliche Dame macht vor dem Dom ein Foto von mir und dem Reiseheft und damit ist die von ihm beschriebene Reise auf Hermanns Spuren nach Mailand abgeschlossen. Mit dieser für mich bedeutsamen Beobachtung wird eine Last von mir genommen und ich kann mich auf die Stadt selbst konzentrieren.

Mailand ist für mich mehr als das Endziel einer Reise. Eines meiner großen Vorbilder lebte einst in dieser Stadt; Leonardo da Vinci. Mit seinem kreativen Geist und der Fähigkeit, das zu erschaffen, was er sich ausgedacht hat, verkörpert er für mich den „uomo universale“ (ein Mann kann alles tun, wenn er will). Das Wandbild „Das letzte Abendmahl“ im Kloster „Santa Maria delle Grazie“ ist aufgrund des Touristenandrangs leider nicht zu besichtigen und ich entscheide mich für das Museum „Pinacoteca Ambrosiana“, in dem fast alle Originalzeichnungen Leonardos versammelt sind im „Da-Vinci-Kodex“. Etwa zwanzig Zeichnungen sind in der erhaltenen Bibliothek ausgestellt, und ich bin bewegt, sie im wirklichen Leben zu sehen. Das einzige Gemälde von Leonardo, das hier hängt, „Ritratto di Musico“, soll ein Selbstporträt sein. Bei meinem Besuch fällt mir auf, dass es in diesem Museum kaum Besucher gibt. Für mich unverständlich wegen der großen Fülle an Leonardos Vermächtnis, die hier zu finden ist. Eine Begleiterin hat wenig zu tun und ich komme mit ihr ins Gespräch. Sie ist klassische Kunstgeschichtsstudentin und lernt hier während ihrer Arbeit auch viel für ihr Studium. Ich nehme die kostenlose Führung voll und ganz an und sie führt mich durch die Meisterwerke, zeigt mir aber auch einige besondere Objekte, wie Amulette mit Haarsträhnen berühmter Italiener. Bei dieser Tour kann ich an der Sammlung vorbeifliegen und bin nach 1,5 Stunden wieder draußen.

Ich beschließe, mich wie ein Tourist zu verhalten und durch die „Galleria Vittorio Emanuele II“ zu gehen, wo die Top-Marken der Welt einen Laden haben. Die Einkaufspassage ist randvoll mit fotografierenden Touristen, die ein Foto mit einer Top-Marke im Hintergrund wollen. Ich interessiere mich für die architektonische Konstruktion des Daches und das spezielle Oberlicht.

Bald wird es mir zu viel und ich beschließe, das letzte Ziel meines Tagesausflugs in Mailand anzusteuern; die “Chiesa di San Bernardino alla Ossa“. In dieser Kirche wurde eine separate Kapelle eingerichtet, die entlang der Wände mit Knochen und Schädeln gefüllt ist, die hier platziert wurden, nachdem auf dem Friedhof kein Platz mehr war. Es ist ein seltsamer Anblick, dieses Schauspiel bis zur Decke zu sehen.


Ich merke, dass die Temperaturen wieder in bizarre Höhen steigen und kehre in der Hoffnung, Ruhe und Abkühlung zu finden, in die Wohnung zurück. Nichts ist weniger wahr; Die Sonne scheint unerbittlich in meine Wohnung, weil ich in meiner Unwissenheit die Jalousien nicht heruntergelassen hatte. Beim Betreten merke ich, dass es 40 Grad sind! Nachdem ich die Jalousien in die richtige Position gebracht habe, wird es glücklicherweise kühler und ich plane, Mailand für die Rückreise nach Darmstadt zu verlassen, um Hermanns Nachlass zu besichtigen und damit meine Reise auf der Suche nach Hermann zu beenden.